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Auch in der Corona-Krise: Klugscheißer werden einfach nicht alle – und wer kennt eigentlich die JHU?

Aktualisiert: 3. Sept. 2020



Jeder, der sich noch an seine Schulzeit erinnern kann – und das sind hoffentlich nicht wenige – kennt diese Spezies: Klugscheißer und Besserwisser. Gut, damals wussten wir, wie wir mit denen umgehen mussten: Entweder gab es gleich Klassenkeile oder man hat sie einfach auf dem Schulhof in die Abfalltonne gesteckt. Fertig. Glücklicherweise gab es damals noch kein Mobbing, das wäre auch zu grausam gewesen.

Heutzutage gibt es sie immer noch – und zwar beide. Und es scheint so, dass sie gerade in der Corona-Krise Oberwasser haben.

Aber der Reihe nach: Da ich Radiosender, die einen den ganzen Tag mit immer der gleichen Musik volldröhnen, nicht ausstehen kann, werde ich jeden Morgen auch im Home-Office um 8 Uhr vom Deutschlandfunk geweckt. Ich mag es, wenn ich morgens und zur vollen Stunde mit den neuesten Nachrichten aus aller Welt sanft aus dem Schlaf gerissen werde. Außerdem finde ich es gut, dass mir der Radiosender nicht alle zehn Minuten sagt, welchen Sender ich höre – und vor allem nicht, warum ich ihn höre. Aber das nur nebenbei.

Nun dürfte aufgefallen sein, dass alle Nachrichten zurzeit mit ein und derselben Nachricht beginnen: die aktuellen Zahlen der Infizierten und Todesfällen in Deutschland. Und da ist es jetzt fast schon normal, dass hier die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) vermeldet werden. Und sobald das geschehen ist, kommen sofort Zahlen, die erheblich höher sind als die aus Berlin. Haben sie jemals in Ihrem Leben etwas von der Johns-Hopkins-Universität (JHU) gehört? Ich nicht. Und warum sind deren Zahlen eigentlich soviel höher? Rechnen die anders? Ist 1+1 in Baltimore 3? Oder sind die Amerikaner einfach nur großzügiger als wir in Europa? Und gleichzeitig schließt sich die Frage an: Warum überhaupt die Johns-Hopkins-Universität?

Ok, ich hab das mal nachgeschaut, die haben schon was drauf. Die Johns-Hopkins-University gilt als Spitzenuniversität, hat insgesamt 37 Nobelpreisträger hervorgebracht. Respekt. Sie wurde 1876 gegründet und vereinte in den USA Forschung und Lehre nach dem Vorbild deutscher Universitäten wie etwa der Traditions-Universität Heidelberg. Ok, das beruhigt ein wenig. Außerdem – und wohl ausschlaggebend dafür, dass die Uni jetzt überall zitiert wird: Bereits im Januar 2020 haben die Forscher der Privatuni ein eigenes Coronavirus-Forschungszentrum eingerichtet, das eine Echtzeitkarte, die die aktuelle Ausbreitung des Coronavirus auf der Welt zeigt, erstellt hat.

Aber dennoch, warum sind die Zahlen höher? Zählen die anders? Nein, die rechnen hoch. Anders als das RKI, das sich auf die offiziellen Mitteilungen der Gesundheitsministerien der einzelnen Bundesländer beruft (also das zählt, was gemeldet wird), nutzt die JHU für ihre Auswertung u. a. Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO, Berichte nationaler Stellen sowie Meldungen lokaler Medien. Die Forscher der US-Uni suchen viele öffentlich zugängliche Quellen gezielt nach Daten ab, auch Internetseiten von Gesundheitsämtern oder Twitter-Accounts von Wissenschaftlern. Dadurch, so sagt man, gelingt eine Sicht auf die Lage quasi in Echtzeit. Das heißt also, die Damen und Herren der JHU rechnen selber hoch aus Quellen, die sie irgendwo auftreiben. Da dürften dann die Webseiten der deutschen Gesundheitsbehörden wohl ebenfalls dazugehören. Aha. Na, dann sind die deutschen offiziell gemeldeten Zahlen ja auch mit drin.

Gut, man muss zugeben, dass die Mitteilungen der Zahlen, die über die tatsächlich gemeldeten Infizierten von den Gesundheitbehörden an das RKI weitergeleitet werden, zeitverzögert sind. Natürlich sind sie das, das sind ja schließlich deutsche Behörden. Mit Echtzeit hat man es da nicht so. Außerdem gibt es ja auch das Wochenende, da geht in den Behörden gar nichts, Krise hin oder her. Da passiert es eben schon mal, dass manche Infektionen noch nicht gemeldet wurden und erst Tage später in die Statistik einfließen können.

Andererseits frage ich mich, warum die JHU, die aufgrund ihrer erhobenen Daten die Zahlen hochrechnet, zu Ergebnissen kommt, die so gar nicht aussehen, als wurden sie geschätzt. Aktuell (also am 26.3.) gibt es demnach nach der JHU 37.323 (RKI: 36.508) Infizierte und 206 Tote (RKI: 198). Nun ja, schätzen sieht irgendwie anders aus.

Zudem frage ich mich, welchen informativen Wert der Unterschied der gemeldeten Zahlen (RKI) und der hochgerechneten Zahlen (JHU) hat. Eigentlich keinen, oder? Natürlich ist es entscheidend, Entwicklungen abschätzen zu können, um im in der medizinischen Versorgung rechtzeitig die nötigen Vorkehrungen treffen zu können (Intensivbetten, Pflegepersonal, Schutzkleidung usw.). Vorkehrungen, die übrigens heute nicht nötig wären, hätten wir das Gesundheitswesen nicht in den letzten 15 Jahren so dramatisch zusammengespart. Aber das nur nebenbei.

Aber ändert z.B. die Differenz von 815 Infizierten (37.323-36.506=851) die Planungen, angesichts der immer noch ungebremsten täglichen Steigerung der Zahlen im Ganzen? Nein. Wir rechnen mal eben: Was wir wissen, ist, dass bei 5% der Infizierten der Krankheitsverlauf so schwer ist, dass sie ein Intensivbett zur Behandlung benötigen. Insgesamt haben wir in Deutschland ca. 28.000 solcher Betten (von denen im Übrigen auch nicht alle zur Verfügung stehen, weil da schon Menschen mit anderen Erkrankungen drin liegen). Und man muss kein Mathe-Genie sein, um auszurechnen, wie hoch die Zahl der Infizierten sein muss, bis alle Betten belegt sein werden.

Doch zurück zu den Klugscheißern dieser Tage. Einer ist mir dabei mal wieder besonders aufgefallen: Christian Lindner, der Chef der FPD, Freiheitsdenker und einer, der nicht müde wird, seinen Twitter-Account auf Teufel komm raus zu bemühen, um uns da draußen klar zu machen, dass er der Einzige ist in Deutschland, der für die freiheitlichen Grundsätze steht, solange die Verantwortung dafür andere tragen müssen. Schon zwei Tage nach der Merkel’schen Verlautbarung über die kommenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, stellt er sich in den Bundestag und klugscheißt staatsmännisch (O-Ton Lindner): »Der jetzige Ausnahmezustand ist richtig - aber mit dem heutigen Tage müssen Regierung und Behörden Schritt für Schritt alles unternehmen, damit die Menschen baldmöglichst in die Freiheit zurückkehren können!« Was soll man darauf sagen? Ist da einer anderer Meinung, mal bitte die Hand hoch. Genauso gut hätte er sagen können: »Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter. Wir von der FDP stehen dazu und werden das auch in Zukunft tun!« Gut gebrüllt, Löwe.

Manchmal sehne ich mich wirklich auf den Schulhof zurück. Die Abfalltonnen sind jetzt gerade so schön leer.

Bleiben Sie gesund und passen Sie auf sich auf.

Kai-M. Schmuck

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