

8:30 macht die HANSEATIC spirit im malerischen Ålesund an der Pier, der Storneskaia fest. Aufwachen, Julie geht Schwimmen, ich habe mir fest vorgenommen, heute das Frühstücksbuffet im Lido zu genießen. Es war Eile geboten, denn unser heutiger Landausflug begann schon um 9:20. Kleine Bratwurst, Rührei mit Bacon, Frikadelle, dicke weiße Bohnen, ein Butterbrot, O-Saft, keine Pralinen. Während ich bei einem Bircher-Müsli zum Abschluss den Tagesplan nach irgendwelchen Sportangeboten durchsah, war ich hin und hergerissen zwischen "Bauch spezial" und "Peach Workout", entschied mich aber dann für das Laufband im Sports Club (Deck 8). Aber nur, wenn mich der Landgang nicht zu sehr auszehren würde.

Ich will hier nicht unerwähnt lassen, dass Julie unsere Landgänge, Ausflüge etc., nach den in der Broschüre ausgewiesenen Schwierigkeitsgraden (1=Rentner bis 5=Moni-tauglich) ausgesucht hat. Das war klug, weil ich natürlich nicht so verzweifelt enden wollte wie Christian, der einen Abend zuvor in der Raucher-Lounge verzweifelt versucht hat, mir die wunderbare Kajakfahrt (Schwierigkeitsgrad 4!!) durch den Ålesundet (für die geografisch interessierten Leser: das ist der Kanal, der die Inseln Aspøy und Nørvøy voneinander trennt) abzutreten. Da ich nicht als sehr abenteuerlustig lustig gelte, habe ich dankend abgelehnt – außerdem konnte ich mit der Kohle, die er mit bot, in Norwegen nicht sehr viel anfangen, weil die hier mit der Norwegischen Krone bezahlen. Zudem hatte ich ja bereits den Landgang "Ålesund - Hauptstad des Jugendstils" gebucht, weil ich mich schon immer für Architektur und insbesondere für Jugendstil interessiert habe. Christian auch, aber genützt hat es ihm nichts, denn wenn Moni mit ihm paddeln will, dann will sie mit ihm paddeln.

Treffpunkt war an der Pier um 9:30. Insgesamt gab es zwei Gruppen, zu unserer Gruppe gehörten u.a. Ami, Didi, Dorti, Lisi, Philip und Julie natürlich. Unser Guide, dessen Name ich vergessen habe, war ehemaliger Zahnarzt aus der Nähe von Köln, der sich hier vor mehr als 20 Jahren niedergelassen hat und aus purem Zeitvertreib Menschen, die mit Schiffen ankommen, wichtige Informationen über Ålesund, der Hauptstad des Jugendstils, über ein Mikrofon direkt ins Ohr der Teilnehmer atmet. Eine der Informationen bekamen wir gleich zu Anfang des Ausflugs: Das Rathaus, an dem wir vorbei mussten, wurde kürzlich zum zweithässlichsten Rathaus Norwegens gekürt. Die Antwort auf die Frage, welches denn das hässlichste Rathaus war, blieb er uns schuldig, weil er sich daran nicht mehr erinnern konnte. Gut, der Mann war schon uralt, deshalb wollen wir ihm das nachsehen. Dafür wusste er alles über Jugendstilhäuser ... also zumindest wusste er, wo die Dinger stehen.

Jetzt fragt man sich natürlich, warum in Ålesund so viel beeindruckende Art Nouveau-Architektur zu finden ist. Offensichtlich haben die Norweger kein glückliches Händchen mit Holzhäusern, vor allem in Verbindung mit Feuer. Deshalb musste die Stadt nach einem verheerenden Brand im Jahr 1904 fast vollständig neu aufgebaut werden. In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1904 zerstörte ein Großbrand große Teile der Innenstadt, rund 850 Häuser brannten nieder, und etwa 10.000 Menschen wurden obdachlos, so die Info unseres Guides. Der Wiederaufbau erfolgte in erstaunlich kurzer Zeit, hauptsächlich zwischen 1904 und 1907.

Die Architektur im Jugendstil wurde nicht gewählt, weil man endlich erkannt hat, das Holz brennt, sondern weil sie zu dieser Zeit in Europa modern war und viele der beteiligten Architekten in Deutschland und Norwegen davon inspiriert waren. Viele der neuen Gebäude wurden deshalb aus Stein und Ziegeln gebaut, damit sie nicht dauernd abfackeln. Und hier eine Info für unseren Architektur-Fan Christian: Die Bauarbeiten wurden maßgeblich von norwegischen Architekten wie Hagbarth Schytte-Berg, Jens Zetlitz Monrad Kielland und Mathias Brække geleitet, die sich von deutschen und französischen Jugendstil-Trends inspirieren ließen.
Finanziell unterstützt wurde der Wiederaufbau übrigens unter anderem von Kaiser Wilhelm II., der eine besondere Verbindung zu Norwegen hatte. Aha, da haben sich die Deutschen endlich mal anständig benommen. Als Anerkennung für seine Hilfe wurde sogar eine Straße nach ihm benannt: die “Keiser Wilhelms Gate”.


Alles in allem muss man sagen: Ålesund ist eine wunderschöne Stadt – Jugendstil hin oder her. Ein kleiner Rundgang durch den Hafen bescherte uns den Blick auf die Hafenmole, an deren Spitze sich ein nicht mehr aktiver Leuchtturm befand. Also Turm wäre jetzt übertrieben, der war nicht höher als vielleicht 8 m, aber der Hafen war auch nicht besonders groß da. Zudem war es auch kein Seezeichen mehr, sondern wurde von einem ansässigen Hotel in eine Hochzeitssuite umfunktioniert – mit allem Drum und Dran allerdings ... also Küche, Schlafzimmer, Klo, Dusche und Wohnzimmer. Und das alles auf weniger als angstörungsverursachende 20 qm ohne Fenster. Die Tür haben sie nicht vergessen, aber nur, weil man sonst nicht rein kommt in die Bude.
Nach drei Stunden endete der Rundgang, und bei mir machten sich erste Ausfallerscheinungen bemerkbar, weil urplötzlich die Idee aufkam, gemeinsam im Anschluss noch eine kleine Wanderung auf den Gipfel des Hausberges Aksla (190 m!) mit seiner Fjellstua-Aussichtsplattform zu machen. Von dort hätte man, so unser Guide, einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und seine Fjorde. Super Idee, aber ohne mich. 418 Stufen für ein Postkarten-Motiv, vielen Dank auch, alter Mann.

Außerdem wusste ich, das Philip, der sich immer mehr zu einem Nordkap-Reisefotografen entwickelte, weil er eine anständige Kamera seines Vaters dabei hatte, klasse Bilder machen würde. Und ich sollte Recht behalten, die Fotos waren wirklich einzigartig. (Und alle anderen übrigens auch, Philip.)
Ich habe mich dann stattdessen auf den Rückweg zum Schiff gemacht. Wenn ich mich beeilte, das war klar, dann könnte ich noch die eine oder andere frische Waffel ergattern. Lohnt sich. Außerdem musste man sich eh sputen, denn um 15 Uhr sollte die HANSEATIC Spirit Ålesund Richtung Torghatten verlassen. Meien Schritte wurden dementsprechend schneller.

Nachdem alle wieder an Bord waren, rutschten wir alle langsam in die Abendroutine. Kleines Schläfchen, kleiner Snack und vorbereiten für das Kapitäns-Dinner, das für heute Abend auf der Agenda stand. Ok, der Kapitän selbst war nicht zugegen, dafür haben wir mit der Hotelmanagerin, der Finanzchefin und dem General Expedition Manager an unseren drei Tischen das Essen eingenommen. Und damit die drei alle Fragen dreimal beantworten können, haben sie nach jedem Gang den Tisch gewechselt. Das alles fand im Übrigen ohne Philip statt, der sich schläfenreibend und seekrank in seine Kabine zurückgezogen hat, um dort das Clubsandwich und das Wiener Schnitzel direkt im Bett zu verzehren. Gute Besserung. Und guten Appetit.
Dann folgte wie immer die Raucher-Lounge und der eine oder andere Drink. Aber natürlich nur die üblichen Verdächtigen. Die anderen wohnten dem Abendprogramm bei (HanseAtrium, Deck 4): "Sehnlichkeit" mit Jessica Gall begleitet am Klavier von Robert Matt. Gut, beide kennt kein Mensch, allerdings schwärmte die Presse: "Eine Stimme wie ein guter Rotwein." Aber den hat Dorti lieber in der Raucher-Lounge getrunken – wie fast jeden Abend.
Dann gings ab ins Bett. Der Tag war anstrengend. Außerdem ging mir der alte Zahnarzt nicht aus dem Kopf. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum mich in der Nacht üble Träume von Rentnern auf E-Bikes, die ihr Hörgerät ausgeschaltet haben, heimsuchten. Ich glaube, ich darf mich einfach nicht mehr so anstrengen.

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